Eine Pandemie, vier Wände und zig Möglichkeiten

Jrene Rolli
5 min readFeb 28, 2021

Willst du wirklich von zu Hause aus arbeiten? Das war merkwürdigerweise die meistgehörte Frage, als ich im Januar 2020 entschied, mich mit meiner Firma «Hello Jrene» selbstständig zu machen. Nur ein Jahr später wirkt diese Frage absurd. Haben seit der Pandemie Menschen auf der ganzen Welt ihren Arbeitsplatz ins Homeoffice verlegt. Für einige ist es eine Erleichterung, für andere eine Belastung. Für mich persönlich eine Balance.

→ Dieser Beitrag ist in Zusammenarbeit mit Selka entstanden, nachdem sie auf LinkedIn meinen neuen Lieblingsarbeitsplatz gesehen hatten. Sie waren neugierig, wie ich das Arbeiten zu Hause sonst so erlebe.

Für mich war klar, dass ich als Selbstständige erst mal von zu Hause aus arbeiten werde. Ich mochte es bereits vorher, wenn ich tageweise im Homeoffice statt bei meinen Arbeitgeberinnen vor Ort verbrachte. Irgendwie fühlte sich mein Alltag dann gelassener an. Ich konnte den Tag flexibler gestalten und kam konzentrierter und schneller voran.

Allein zu sein, davor fürchtete ich mich nicht. Als Kommunikationsspezialistin sprach ich täglich mit meinen Kundinnen und Kunden und abends kam mein Mann nach Hause. Diese Personen sorgten auch dafür, dass ich regelmässig rauskam. Sei es, weil ich aus purem Vergnügen meinen Mann auf seinem Arbeitsweg mit dem Fahrrad oder zu Fuss begleitete oder auswärts Kundschaft traf.

Es fühlte sich gut an. Und von wegen eintönig oder vereinsamen: Teilweise war es mir sogar zu viel Abwechslung und zu wenig Routine. Ein externes Büro oder einen Coworking-Arbeitsplatz hätte ich wohl selten benutzt. Und wenn überhaupt, dann auch nicht lange. Nur wenige Wochen nach meinem Start in die Selbstständigkeit kam nämlich der Lockdown und es hiess für alle in der Schweiz: Bleiben Sie zu Hause.

Plötzlich nicht mehr allein im Homeoffice

Was für ein Glück, dass ich mit meiner Arbeit einfach so fortfahren konnte. Der einzige Unterschied: Ich hatte mit meinem Mann ab sofort einen Bürokollegen. «Wie toll, endlich kann ich in der Kaffeepause wieder mit jemandem plaudern», dachte ich. Statt auf dem Balkon mit einer Tasse Kaffee sassen wir aber viel öfter von früh bis spät drinnen vor unseren Bildschirmen und steckten in stundenlangen Videocalls. Und obwohl wir beide jahrelang in Grossraumbüros gearbeitet haben, gingen gleichzeitige Videocalls im selben Raum ganz und gar nicht. Da sich mein Laptop schneller verschieben liess als die vier Bildschirme meines Mannes, war auch klar, wer flüchtet. Nur, wohin?

Als ich mal wieder auf der Flucht war, entdeckte ich eher zufällig, wie praktisch das Bügelbrett als Stehpult war. Nicht ganz perfekt in der Höhe, aber das liess sich mit einem dicken Buch als Untersetzer beheben. Ich merkte sofort, wie gut mir das Stehen tat. Ich fühlte mich aktiver, war wacher und abends nicht so eingerostet. Ich ging zwar regelmässig joggen, aber die Alltagsbewegung war nahezu inexistent. Ich sass viel mehr, weil all die externen Termine und der gelegentliche Arbeitsweg mit meinem Mann fehlten.

Mittlerweile ist als Ersatz für das Bügelbrett ein schlichtes Selka-Stehpult bei uns im Wohnzimmer eingezogen. Abends lässt es sich einfach runterfahren und wirkt dann ganz unscheinbar als Beistelltisch oder wird kurzerhand zum Mini-Ping-Pong-Tisch. Die kleine Ablagefläche ist zum Arbeiten perfekt, da mich nebst dem Laptop und einer Tasse Tee daneben nichts ablenken kann. Ok, manchmal schweift mein Blick nach draussen zu den Ziegen in Nachbars Garten oder ich komme auf meinem Balance-Pad unter den Füssen etwas ins Wackeln.

Stets das eigene Gleichgewicht wieder finden

Die Balance halten, das ist für mich die grösste Herausforderung beim Arbeiten im Homeoffice und gleichzeitig auch die grösste Bereicherung. Wenn es mir gelingt, dann fühle ich mich viel ausgeglichener als mit einem Arbeitsplatz ausserhalb meiner eigenen Wohnung. Dass es jedoch klappt mit dem Gleichgewicht von Arbeit und Freizeit sowie Fokus und Vergnügen, das fordert mich auch.

In den vergangenen Monaten hatte ich genügend Zeit, um Verschiedenes auszuprobieren und zu lernen, wie ich für mich persönlich diese Balance am besten halten oder wiederherstellen kann. Die Meditation mit Headspace gehörte schon vor der Pandemie und Homeoffice-Situation zu meiner Morgenroutine. Und sie wurde noch wichtiger. Ich gehe viel aufmerksamer durch den Tag. So wird mein Alltag nicht alltäglich und ich schätze die kleinen Dinge viel mehr. Auch kann ich mich beim Arbeiten besser fokussieren und produktiv arbeiten. Um in den Flow zu kommen, höre ich manchmal auch Focus Music.

Zu viel Fokus und Disziplin stresst mich aber auch. Ich denke da an all die wunderbaren Geschichten von Menschen, die neue Hobbys lernen, täglich selber Brot backen oder minutiös ein strenges Workout-Programm verfolgen. Nicht nur mein Job fordert mich mental, auch einfach die Situation an sich. Natürlich mag ich es, auch in der Freizeit eine neue Herausforderung anzupacken. Aber ich brauche auch Genuss und nicht überall mehr Leistungsdruck und den Zwang, etwas Produktives tun zu müssen. Einfach nur auf dem Sofa sitzen oder aus dem Fenster schauen und Eichhörnchen in den Bäumen beobachten.

Die Möglichkeiten sehen und Dankbarkeit pflegen

Rausgucken — am besten dazu noch kurz das Fenster öffnen und frische Luft reinlassen — und den Blick in die Weite schweifen lassen, das tut mir auch tagsüber beim Arbeiten sehr gut. Meine Zeit vor dem Bildschirm hat deutlich zugenommen, da ich abends nicht einfach meinen Laptop zuklappe, Feierabend mache und meine Liebsten irgendwo persönlich treffe, sondern wir uns in Videocalls verabreden. Das Erfreuliche daran, wir haben alte Spielklassiker wie «Montagsmaler» und «Stadt, Land, Fluss» wiederentdeckt. Und wenn sich «Finto» und «Gartic Phone» noch dazugesellen, dann spielen wir gemeinsam schon mal bis in die Nacht hinein.

Damit ich trotzdem gut schlafen kann, hab ich auf meinem Laptop f.lux installiert. Das Tool passt die Bildschirmfarbe und -helligkeit dem Tagesverlauf an und sorgt für besseren Schlaf. Mich morgens erholt zu fühlen, trägt enorm viel zu meiner Balance, meinem Wohlbefinden und meiner Produktivität bei. Wenn ich wach bin, sehe ich auch all die Möglichkeiten und kleinen Abwechslungen im Alltag besser. So, dass sich das Leben in meinen eigenen vier Wänden auch nach all den Monaten noch nicht eintönig oder allzu einschränkend anfühlt. Dafür bin ich enorm dankbar.

Hello Jrene http://hellojrene.ch/
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Jrene Rolli

Schreibt Texte, die Menschen verstehen. Und findet das kleine Glück im Alltag. // www.hellojrene.ch